Buchrezension,  Personal Growth,  Perspektiven

Moralische Ambition: “Hören Sie auf, Ihr Talent zu vergeuden!”

Wir wollten nur kurz die Welt retten. Damals.

In meiner Studienzeit wurde ich von jungen Menschen umgeben, die an einer Vielzahl gemeinnütziger Programme teilnahmen: Englisch in Lateinamerika unterrichten, Moore in Österreich befeuchten, Plastik aus den Meeren fischen. Sie rissen sich aus ihrem “normalen” Leben, wurden mit dem Alltag von Milliarden anderer Menschen auf dieser Welt konfrontiert und entwickelten ihre moralischen Ambitionen, wie man diese Welt verbessern und das Leid verringern kann.

Heute bin ich von Erwachsenen umgeben, die ihre Erwerbstätigkeit reduzieren, zusätzliche Urlaubstage verhandeln und am liebsten aus dem informationsüberlasteten Alltag auf die einsamen Hütten in Südschweden oder geschlossene Hotelanlagen in Spanien “escapen”. Sie reißen sich aus ihrem “normalen” Leben, schützen sich vor der Konfrontation mit dieser Welt und haben häufig keine Kraft und keine moralischen Ambitionen mehr, um diese Welt zu verbessern und das Leid zu verringern.

„Ich bin ein guter Mensch“ – oder doch nicht?

2022 stellte Rutger Bregman in seinem Buch “Im Grunde gut” die These, dass alle Menschen so gut sind, wie sie sind, und gar nicht böswillig und faul, wie diverse Kulturartefakte von der Bibel bis hin zu Romanen von Jean-Jacques Rousseau suggerieren wollen.

Diese Botschaft passte zum Zeitgeist – doch sie wurde so weit vereinfacht, dass plötzlich jeder von sich behauptete, ein guter Mensch zu sein. Rutger Bregman musste seine Botschaft präzisieren:

Sein neues Buch beginnt mit der Geschichte eines Mönchs, der seine Gedanken nach Jahrzehnten des Meditierens so kontrollieren kann, dass ihm durch ein Gehirnscanner (MRT) keine Aktivitäten nachgewiesen werden können. Dieser Mönch erreichte zwar einen sehr hohen Grad an Zufriedenheit, bereut allerdings, dass er zu viel seiner Lebenszeit diesem persönlichen und nicht allgemeinnützigen Ziel widmete.

Vom Denken zum Handeln: So verändern wir die Welt

Wir sind alle restlos überfordert, müde, gehören dabei zu den 5 % bestsituierten Menschen weltweit. Uns stehen heute mehr Mittel zur Verfügung als je zuvor, um etwas bewirken zu können. Rutger Bregman will uns wach rütteln und uns Wege aufzeichnen, wie wir aus unseren Routinen herauskommen und mit kleinen Schritten die Welt tatsächlich verändern können.

Seine Botschaft lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

  • Finden Sie Gleichgesinnte. Wenn Sie dabei in Ihren Überzeugungen mit einer Sekte verglichen werden, könnte das bedeuten, dass Sie dann auf dem richtigen Weg sind. Bregman schreibt dazu: “Jeder Meilenstein der Zivilisation wurde zunächst für die Idee einer seltsamen Subkultur gehalten <..>.” Oder suchen Sie nach einem Ort, wo Sie unterstützt werden, diese Mission zu finden. Als Beispiel nennt Bregman die Londoner Organisation “Charity Enterpreneuership”.
  • Wenn Sie Ideen haben, was die Welt braucht, verwirklichen Sie diese. Und suchen Sie nach Wegen, die guten Taten zu skalieren. Manchmal haben unscheinbare Erfindungen einen riesigen Einfluss. Die weibliche Emanzipation wurde nicht nur durch die Pille vorangetrieben, sondern vielleicht noch viel mehr durch die Erfindung der Spülmaschine – von einer Frau, die erkannte, was der Welt fehlte.
  • Denken Sie bei allem, was Sie tun, daran, was Sie unseren Nachfahren überlassen: Wir sind heute da, wo wir stehen, nicht weil “der Zufall das wollte”. Wir stehen heute da, wo wir stehen, weil uns eine lange Reihe von Innovatoren vorankommt, die ihre Welt geändert und somit unsere geprägt haben.

Das sind alles Botschaften, die man immer wieder hört. Bei Bregman bleiben sie hängen. Bereits in “Im Grunde gut” illustrierte Bregman seine Thesen mit einzigartigen und emotionalen Geschichten: Weihnachtsfrieden 1914, Ökozid auf den Osterinseln.

In „Moralische Ambition” begab er sich auf die Suche nach Beispielen aus der Vergangenheit und der Gegenwart, wie Leute mit hohen moralischen Ambitionen positive Veränderungen bewirkten. Er erzählt über die ersten Abolitionisten, ihren philosophischen Vorreiter, Gustavo Vassa, und die Abschaffung der Sklaverei, über Suffragetten und das Frauenwahlrecht in Europa, von Niederländern , die jüdische Flüchtlinge im Zweiten Weltkrieg unterstützten, über Robert Marten und seinen Kampf für die kleine Terri und gegen Malaria.

Bregmans Buch ist eine Erinnerung daran, dass unsere Möglichkeiten, Gutes zu tun, heute größer sind als je zuvor. Und dass es nicht darauf ankommt, wer wir sind, sondern was wir tun. Also:

“Hören Sie auf, Ihr Talent zu vergeuden, und schaffen Sie etwas, was wirklich zählt.”

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