Innovation,  Produktentwicklung

How BIG Things Get Done: über Geheimnisse erfolgreicher Projekte

Der Bau des Kolosseums wurde innerhalb von neun Jahren abgeschlossen. Es diente etwa 450 Jahre zweckgemäß als Amphitheater, einige Zeit als Wohnfläche, einige Jahrhunderte als Monument für den Zerfall einstiger Größe und seit ein paar Jahrzehnten als Touristenmagnet.

Der Olympiapark in Rio de Janeiro wurde auf einem bereits existierenden Sportgelände erweitert, was jedoch mit Verzögerungen und Budgetüberschreitungen verbunden war. Heutzutage ist das gesamte Gelände geschlossen und verfällt.

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Ähnlich widersprüchlich sind zwei andere Gebäude: das Sydney Opera House und das Guggenheim Museum in Bilbao. Das erste wurde über 14 Jahre gebaut, das Budget wurde um 1400% überschritten. Das zweite wurde im vorgesehenen Zeit- und Budgetrahmen fertiggestellt. Habt ihr schon den Namen Jørn Utzon gehört? Frank Gehry, der Architekt des Guggenheim Museums in Bilbao, müsste euch bekannt sein. Er ist ein Star: Seine Bauten schmücken mehrere deutsche Städte:

  • Gehry-Tower in Hannover,
  • das Vitra Design Museum in Weil am Rhein,
  • das DZ-Bank-Gebäude in Berlin.
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Was haben all diese erwähnten Bauwerke gemeinsam? Sie sind alle Megaprojekte und Gegenstand der Forschung von Bent Flyvbjerg, dem dänischen Wirtschaftsgeographen und Professor an der Universität Oxford. In seinem Buch “How BIG Things Get Done”, das er zusammen mit dem kanadischen Journalisten Dan Gardner erarbeitet hat, präsentiert er eine Reihe von Heuristiken, die er auf Basis von über 2000 analysierten Großprojekten erarbeitet hat.

Zusammengefasst basiert der Erfolg eines Projekts auf drei Bausteinen: Planung, Erfahrung und Modularität.

Über die Planung

Die Planung ist das A und O eines jeden Projekts. Die meisten Projekte starten überstürzt: begeistert von einer Idee, fließt das Geld in Projekte, die schnell begonnen wurden, ohne umfangreiche Voranlysen. Mit der Zeit werden sie mit Problemen konfrontiert, die anfangs nicht erkannt oder übersehen wurden. Ein richtiger Projektstart sollte laut Flyvbjerg nach dem Motto “Think slow, act fast” erfolgen.

Das Ergebnis eines Projekts sollte klar definiert sein und die Projektarbeit sollte “from right to left“ geführt werden. Damit die Ziele nicht aus den Augen verloren gehen, kann beispielsweise die Pitch-Methode von Amazon herangezogen werden: zu jeder Idee werden zunächst ein Press Release und ein FAQ erstellt. Diese Dokumente können zum Abgleichen des aktuellen Status und dem Zielstatus des Projektes dienen.

Die Planungsphase bei Großprojekten umfasst nicht nur das Erstellen von Gantt-Charts und Roadmaps, sondern auch das Testen und Ausprobieren an kleineren Modellen, bis die Gesamtidee perfektioniert und erfolgsversprechend ist. Diese Art der Planung nennt Flyvbjerg “Pixar Planning”. Sie ist tatsächlich nach dem Animationsstudio benannt, das mit “Findet Nemo” und “Toys Story” ihre goldenen Zeiten hatte. Die Pixar-Ansätze wurden von Edwin Catmull, einem der Mitgründer des Animationsstudios, in seinem 2015 veröffentlichten Buch “Creativity, Inc.” beschrieben. Dieses Buch ist eine ultimative Empfehlung für den Aufbau von kreativen Unternehmen oder Projekten.

Die Geschwindigkeit der Umsetzung ist hier entscheidend: sollte es zu einer Verzögerung kommen, könnte das Projektteam beispielsweise mit der geänderten Gesetzeslage (was in Deutschland möglich ist), einem neuen Präsidenten (eher relevant für die USA) oder eben mit einer weltweiten Pandemie konfrontiert werden, wie wir sie alle vor ein paar Jahren erlebt haben.

Flyvbjerg und Gardner sprechen vom “Fenster des Scheiterns”: je länger ein Projekt dauert, desto länger bleibt das Fenster geöffnet und umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass unvorhersehbare Ereignisse eintreten. Für solche Ereignisse hat sich dank dem Nassim Nicholas Taleb  die Bezeichnung Black Swans (Schwarzer Schwan) etabliert. Die berühmtesten Black Swans der jüngsten Geschichte sind Covid-19 und die darauffolgende Pandemie (Verschiebung von Projekten), Blockade der Ever Given im Suezkanal und der daraus resultierende Zusammenbruch globaler Lieferketten. Selbst eine minimale Planänderung kann zum Kollaps des gesamten Vorhabens führen.

In Bezug auf die richtige Planung, Zielsetzung und Fokussierung erarbeiten die Autoren eine Reihe von Heuristiken:

  • Starte mit der Frage “Warum?” (Ask “Why?”)
  • Denke langsam, handle schnell. (Think slow, act fast.)
  • Versetze dich in eine externe Perspektive. (Take the outside view.)
  • Achte auf die Risiken. (Watch your downside.)
  • Sag NEIN und zieh weiter. (Say no and walk away.)

Die abschließende Heuristik mag esoterisch klingen, thematisiert aber unsere kognitiven Verzerrungen beim Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen:

  • Du bist dein größtes Risiko. (Know that your biggest risk is you.)

Ironischerweise handeln wir häufig basierend auf unseren Vorurteilen, die besonders bei der Durchführung von Mega-Projekten zu Problemen führen könnten. Daniel Kahneman beschäftigt sich in seinem Buch “Schnelles Denken, langsames Denken ausführlich mit den zwei Denksystemen des menschlichen Gehirns”.

Über die Erfahrung

Einer der Gründe, warum die olympischen Bauten und die Gesamtorganisation von Olympiaden häufig scheitern, ist die fehlende Erfahrung des jeweiligen Veranstalters. Das ist natürlich kein Wunder, denn es gibt eine Handvoll Länder, die Olympische Spiele mehr als einmal durchführen durften. Selbst diese Länder müssen jedes Mal wieder von vorne beginnen.

Dabei sind nach Flyvbjerg und Gardner ein solides Team und ein erfahrener Projektleiter entscheidend für den Projekterfolg. Diese verfügen nicht nur über explizites, nachweisbares Wissen, sondern auch über Intuition: das implizite Wissen, das sie sich über die Jahre angeeignet haben, ohne es bewusst wahrzunehmen.

Da den Großprojekten eine Einzigartigkeit zugeschrieben wird, könnte es schwierig sein, Spezialisten mit dem nötigen Wissen zu finden. Flyvbjerg und Gardner schlagen vor, in Projekten nicht nach Besonderheiten sondern nach Gemeinsamkeiten mit anderen Projekten zu suchen und sie einer Klasse zuzuordnen. Dieser breitere Blick auf das neue Projekt könnte nicht nur bei der Personalsuche helfen. Es handelt sich um eine Methode, die als Reference Class Forecasting bekannt ist und vor allem Daten und Erfahrungen bietet, um realistische Finanz-, Planungs- und Umsetzungsprognosen erstellen zu können.

Eine der Heuristiken von Flyvbjerg und Gardner empfiehlt den Aufbau eines Teams mit einem “Baumeister” oder einer “Baumeisterin” zu beginnen: einer Person, die umfangreiches und tiefes Fachwissen im geforderten Bereich mitbringt. Dieser Person sollte man auch das Zusammenstellen des eigentlichen Teams anvertrauen. Mit einem für das Projekt geeigneten Team steigt die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Umsetzung.

Die Heuristiken, die sich auf Erfahrung beziehen, sind folgende:

  • Finde den richtigen Baumeister (Hire a masterbuilder)
  • Bau ein richtiges Team richtig auf (Get your team right)
  • Knüpfe Freundschaften und pflege Beziehungen (Make friends and keep them friendly)

Über die Modularität

Es sind nur fünf Projekttypen, die nach Flyvbjergs Analysen als besonders erfolgreich gelten können: Photovoltaikanlagen, Windparks, Wärmekraftwerke, Stromnetzausbau sowie Straßenbau. Das Besondere daran ist, dass sie alle aus einzelnen Teilen, Modulen, bestehen. Ihre Umsetzung wird durch die mehrfache Wiederholung einzelner Prozessschritte mit der Zeit nur verbessert und optimiert. Die Vorhersagen dank der eingeübten Schritten können immer präziser gemacht werden.

Solche Projekte werden in den meisten Fällen pünktlich und innerhalb des Budgets abgeschlossen. Die abschließende Heuristik is hier:

  • Bau mit Lego (Build with Lego)

Das maximale Output bei minimalem Wissen

Obwohl sich Flyvbjerg wissenschaftlich mit der Analyse großer Projekte beschäftigt, formuliert er die Quintessenz dieses Buchs in einer Reihe von Heuristiken und nicht von statistisch belegten Erkenntnisse. Im Grunde genommen werden uns nur “Pi-Mal-Daumen-Regeln” angeboten, die “komplexe Entscheidungen vereinfachen”. Ich interpretiere diese Art des Outputs aus jahrelanger Forschung als Zeichen mangelnder Daten, die statistisch aussagekräftige Empfehlungen vorerst unmöglich machen. Dennoch könnten diese Heuristiken bei weiser Anpassung an die konkreten Projektumstände entweder zum Erfolg verhelfen oder zumindest zum Ausprobieren und zur Entwicklung neuer Erkenntnisse inspirieren.

  1. Bildquelle: https://www.stern.de/sport/olympia/lost-places–so-sehen-ehemalige-olympische-sportstaetten-heute-aus-30646776.html ↩︎
  2. Bilderquellen: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Hannover_Gehry-Tower.jpg, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Vitra_Design_Museum.JPG, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Berlin_-_Haus_Behrenstra%C3%9Fe_73.jpg ↩︎

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