Buchrezension,  Heldenreise,  Kreativität

Über das Schreiben und “Die Geschichten in uns” von Benedict Wells

Es sind selten Romane, die meine Liste streifen. Und in den letzten Jahren sind es noch seltener Romane männlicher Autoren. Daher kenne ich keine der Geschichten von Benedict Wells. Da mich der kreative Prozess beim Entstehen von Geschichten fasziniert, griff ich dennoch nach seinem neuesten Buch über das Schreiben: „Die Geschichten in uns“.

Das Buch erinnert stark an “Das Leben und das Schreiben” von Stephen King. Es ist fast eine “Abkupferung”: den ersten Teil widmete Wells seiner eigenen Vita, im zweiten Teil stellte er seinen schriftstellerischen Werkzeugkasten vor. Selbst die Passage über die Dauer des Schreibens dieses Buches und die Schwierigkeiten, die er dabei hatte, schien mir fast wie eine Kopie. Und dennoch sind das zwei unterschiedliche Geschichten zweier ganz unterschiedlicher Menschen (und beide sind lesenswert).

Benedict Wells hat laut Wikipedia eine beeindruckende Familie, distanzierte sich allerdings von seinem Geburtsnamen – von Schirach aufgrund der NS-Vergangenheit. Seine Eltern, seine Schwester und sein Cousin sind allesamt Schriftsteller. Sie leisteten auch einen wesentlichen Beitrag zu seinem Werden als Schriftsteller. Dennoch erfuhr Benedict Wells keine behütete Kindheit. Bereits als Siebenjähriger musste er seine Wäsche selbst waschen, trocknen und bügeln, um diese mit in ein Heim mitzunehmen. Er musste früh erwachsen werden, flüchtete in die Welt von Büchern und hoffte, wie sein damaliger Idol Benjamin Lebert, aus der Tristesse seines Daseins dank des Schriftstellertums zu entkommen.

Nach dem Schulabschluss konzentrierte er sich hauptsächlich auf das Schreiben, brauchte aber Jahre, bis er seinen ersten Roman veröffentlichte. Mit 40 Jahren konnte er also auf 20 Jahre Erfahrung als Schriftsteller zurückblicken und diese im Buch “Die Geschichten in uns” verarbeiten.

Da Wells nie professionell schreiben gelernt hat, finden wir bei ihm keine Formeln und Algorithmen für einen gut geschriebenen Text. Das überlässt er lieber Wolf Schneider und Janet Burroway. Dazu finden wir auch bei King deutlich mehr. Seine Empfehlungen sind wenig verschult, unkonventionell und praxisnah, gewürzt mit Anekdoten aus der eigenen Schreibwerkstatt. Wells geht sehr offen mit den eigenen Fehlern und Schwachstellen in eigenen Werken um und bietet und Ausschnitte aus frühen Fassungen seiner Romane.

Benedict Wells bestätigt die Thesen, die bereits Elizabeth Gilbert in „Big Magic“ aufstellte und vertrat (mehr dazu auch hier):

  • Den Erfolg als Schriftsteller erreicht man weder durch Esoterik noch Magie.
  • Weder Talent noch eine besondere Begabung sind unabdingbare Voraussetzungen.

Für den Erfolg als Schriftsteller muss man hart arbeiten. Und das heißt:

schreiben, schreiben, schreiben.

Haruki Murakami vergleicht in seinem Buch “Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede” das Schreiben eines Romans mit dem Marathonlauf. Der Langstreckenlauf ist immer eine Kampfansage gegen sich selbst. Man benötigt die Ausdauer und die Motivation, die in einem selbst liegt und nicht in den äußeren Anreizen. Was am Ende zählt, ist der Stolz auf sich selbst und seine Leistung.

Es gibt noch etwas, das wichtig ist, um Romane schreiben zu können: das eigene Zimmer, wie es uns einst auch Virginia Woolf in ihrem Essay „Ein Zimmer für sich allein“ erzählte. Das eigene Zimmer (und festes Einkommen), in dem wir in Ruhe nach Geschichten in uns suchen können.

Mein Lesefazit

Ja, Wells “klaute” die Idee dieses Buches vom großartigen Stephen King. Den großartigen Stephen King sollte das nicht im Geringsten stören. Im Gegenteil beweist das bloß seine Großartigkeit! Dabei erschuf Wells etwas Originelles, das meiner Meinung nach im deutschen Sprach- und Kulturraum fehlte.

Jeder, der schreibt, sollte dieses Buch unbedingt zumindest durchblättern.

Jeder, der mehr über Benedict Wells erfahren möchte, sollte ebenfalls zugreifen. Nicht nur seine Geschichte, sondern auch seine Buch- und Filmempfehlungen sind interessant und lassen ihn besser kennenlernen.

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