
Über die Gewalt der Sprache: wenn es nur ein Buch in diesem Jahr sein darf
Ich halte nichts von Sport, den ich nicht selbst machen kann. In meiner Rolle als Mutter bin ich aber gern dabei: sowohl am Spielfeldrand als auch im Stadion. So wie beim HSV-Heimspiel der Saison 23/24. Unsere Jungs waren Feuer und Flamme: Sie himmelten die Fußballspieler an, schmissen ihre Schals in die Luft beim Tor und sangen die Hymne des Vereins mit. Ihres Vereins! Es war eine herrlich ansteckende Partystimmung, bis dieses Plakat aufkam: irgendwas mit “Müttern” und einer Obszönität.

Gerichtet offensichtlich an die Fans der gegnerischen Mannschaft, aber eigentlich gegen ALLE Mütter, die in diesem Moment im Stadion waren und ihren Kindern etwas von dieser Stimmung kosten lassen und von der Liebe zum Sport vermitteln wollten.
In diesem Moment wurde auch ich in meiner Rolle als Mutter diskriminiert. Und die deutsche Fußballfan-Gemeinde schaute zu und weg!
Das “Abendblatt” druckte ein ähnliches Foto ab, legte den Akzent aber nur auf das Plakat mit der Botschaft an die Polizei: https://www.abendblatt.de/sport/fussball/hsv/article242373946/Ultras-wueschen-sich-unruhige-EM-ranghoher-Polizist-entsetzt.html. MOPO.de versteckte den diskriminierenden Spruch als “gefolgt von unschönen Beschimpfungen”: https://www.mopo.de/sport/hsv/uebles-plakat-hsv-ultras-sorgen-fuer-eklat-polizei-reagiert-sofort/. Offensichtlich wird der Eklat Konsequenzen haben. Wahrscheinlich wird das erste Plakat nicht mehr erscheinen. Und was ist mit dem zweiten? Soweit wird es als „normal“ angesehen, die Rolle der Mutter in einem negativen Kontext zu nutzen.
Jede beliebige Sprache kann als Instrument zur Ausübung von Gewalt eingesetzt werden. Jede beliebige kann verletzen, kann aber auch heilen. Das eine lernen wir schnell. Das andere mühsam und lange, wenn überhaupt. Und falls uns Lehrer und Mentoren in diesem Lernprozess ausgehen, wie ist es wohl auf die Sylter Party-Gesellschaft zutrifft, greife ich gern auf Bücher zu.
Es gibt unzählige Bücher über Kommunikation: von den theoretischen Grundlagen von Schulz von Thun bis zu den praktischen Anleitungen für eine erfolgreiche Rede von Carmine Gallo. Aber wenn es in deinem Leben ein einziges Buch (über die Kommunikation) sein darf, dann muss es die “Gewaltfreie Kommunikation” von Marshall Rosenberg sein.
Als klinischer Psychologe entwickelte Rosenberg sein Handlungskonzept in den USA der 60er Jahre, zu dem Zeitpunkt, als versucht wurde, die auf Aussehen basierende Segregation der Gesellschaft (”Rassentrennung”) zu überwinden. Eine weitere Entwicklung, die die 60er geprägt hatte, war das Interesse an östlichen Religionen in der westlichen Welt. Das Handlungskonzept von Mahatma Gandhi und seine Methoden des kampf- und gewaltlosen Widerstands interessierten Marshall Rosenberg ebenfalls.
Das Modell der gewaltfreien Kommunikation besteht aus vier einfachen Schritten: Wenn wir eine Situation beobachten, die in uns bestimmte Gefühle verursacht und Bedürfnisse hervorruft, sollten wir mit einer konkreten Bitte reagieren.
Die Empathie, Wertschätzung und Ehrlichkeit dem Gesprächspartner gegenüber sind essentiell für eine gelungene Kommunikation. In seinem Buch geht Rosenberg einzeln auf jeden dieser Schritte ein und versucht, mit Hilfe von inspirierenden Lebensgeschichten, Anekdoten, Interviews sein Konzept detailliert zu erklären.
Und wenn du das Buch zuklappst, wirst du bestimmt deine Kommunikationsmethoden grundlegend überdenken. Du wirst versuchen, dich in Personen hineinzuversetzen, an die deine Botschaften gerichtet sind. Du wirst versuchen, sie zu verstehen, um mit ihnen friedlich und respektvoll miteinander leben zu können.
