Buchrezension,  Frauenliteratur,  Perspektiven

Über die Horrorgeschichten, das Schweigen und die Stimmen von Frauen

Als Teenager las ich sehr gern Horrorgeschichten, vorzugsweise die von Stephen King. Ich verschlang alles, was die Stadtbücherei hergab: “Friedhof der Kuscheltiere”, “Carrie”, “Christine”, “In einer kleinen Stadt” und natürlich “Es”. Meistens fehlten mir die kulturellen Hintergründe, um die Probleme nachzuvollziehen, die King thematisierte. Das minderte aber den Gruselfaktor seiner Geschichten nicht. Nach King machte ich noch eine kurze Bekanntschaft mit dem Meister des Gruselgenres Edgar Allan Poe und hatte nicht mehr vor, dieses Lesekapitel für mich wieder aufzumachen. Bis auf den grauen Herbsttag , an dem ich das Buch “Unsichtbare Frauen” von Caroline Criado-Perez aufschlug…

Aufgrund des Titelzusatzes “Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert” erwartete ich eine sachliche und trockene Faktensammlung. Einige dieser Fakten erschütterten mich so sehr, dass ich das Lesen mehrfach unterbrechen musste.

Weibliche Perspektiven und Bedürfnisse werden bei der Stadt- und Gebäudeplanung, bei Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz und im Alltag, in der medizinischen Versorgung, beim Design von Alltagsgegenständen, bei der Entwicklung technischer Systeme ignoriert. Die Leistungen von Frauen – die kostenlos geleistete Care-Arbeit – werden bei der Berechnung von Staatshaushalten außer Acht gelassen und als ein selbstverständliches “Goodie” angesehen.

Die Autorin macht uns zum Beispiel auf die Themen aufmerksam, die auch in der westlichen Kultur tabuisiert sind und über die in der Öffentlichkeit viel zu wenig gesprochen wird. Die Unsichtbarkeit von Themen rund um den weiblichen Körper lässt die damit verbundenen Probleme unsichtbar erscheinen. Daher kann auch an Lösungen nicht gearbeitet werden. Und so verstecken sich die Frauen in einigen besonders radikalen Kulturen während ihrer Periode im Wald… Es ist eine Horrorvorstellung aus der europäischen Sicht.

Wir ruhen uns in dem Gedanken aus, dass wir in Europa, in Deutschland, weniger von Problemen betroffen sind. Letztendlich sind Frauen und Männer hierzulande schon längst gleichberechtigt vor dem Gesetz.

In ihrem Buch “Wir sind doch alle längst gleichberechtigt” beweist Alex Zykunov genau das Gegenteil. Sie macht uns auf strukturelle Probleme aufmerksam, die manche längst akzeptiert haben und manche mit Worthülsen wie “das hast du dir so selbst ausgesucht” kleinreden. In jedem Kapitel ihres Buches zerreißt sie die Glaubenssätze, die viele von uns schon einmal gehört haben:

“Unsere Omas haben das schließlich auch allein geschafft.”,

“Frauen wollen doch gar keine Karriere machen.”,

“Meine Frau hat einfach höhere Sauberkeitsstandards als ich.”

Auf eine witzige Art legt Alex uns dar, dass viele “Auflagen”, vor allem an Frauen und Mütter, durch die Gesellschaft erteilt wurden. Die “klassischen“ Rollenbilder bzw. ein geschlechtstypisches Verhalten wurden auch durch die Werbung und im letzten Jahrzehnt Social Media besonders sichtbar gemacht.

Alex ist Journalistin, Bloggerin, Mutter und obendrein eine “Person mit Migrationshintergrund”. Sie sammelt seit Jahren auf ihrem Instagram-Kanal und nun auch in ihren Büchern Beweise für alltägliche Diskriminierung, Ungerechtigkeit und starrer Denkmuster.

Es wird immer noch nicht genug über weibliche Probleme gesprochen. Das macht sie auch nicht existent. Als Folge arbeiten wir auch nicht an deren Lösungen. Und solange wir das NICHT tun, können wir anderen Frauen nicht helfen. In einigen radikalen Kulturen müssen sich Frauen während ihrer Periode im Wald verstecken.

Wir brauchen mehr weibliche Stimmen, die ihre Perspektiven präsent machen. Alex Zykunov ist eine von ihnen. Auch Tijen Onaran hinterfragt auf ihren Social-Media-Kanälen und im ihren Büchern ihre Rolle als Frau in der heutigen Gesellschaft. Auch versuchen Annahita Esmailzadeh und Vera Marie Strauch Frauen die nötigen Instrumente in die Hand zu geben, um das aktuelle System zu brechen. Welche weiblichen Stimmen kennt ihr, die ihre (unsere) Perspektiven im öffentlichen Raum reichweitenstark darstellen? Teil diese in Kommentaren unter diesem Artikel.

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